Iris Wolff: Lichtungen (Roman, 2024)

Iris Wolff, 1977 in Rumänien geboren, wagt in ihrem Roman Lichtungen ein Experiment: Das
Buch kehrt die chronologische Reihenfolge um. Es beginnt mit dem Ende der Hand-
lung und dringt in die Vergangenheit vor, bis zu Levs früher Kindheit. Lev, eigentlich
Leonhard, Deutschstämmiger im Vielvölkerstaat Rumänien, lebt in einem kleinen
Dorf in den Wäldern des Nordens, dessen heimatliche Anziehung ihn nicht loslassen
will. Wir lernen bei der Zeitreise zurück, in die Zeit von Ceauşescus Diktatur und die
Epoche davor, die Ursprünge der Traumata kennen, die ihn bis heute in ihrem Bann
halten. Und wir gelangen zu den Anfängen seiner eigenartigen Beziehung zu Kato, der
selbstbewussten, künstlerisch begabten Außenseiterin, die den Ausbruch in die
Fremde braucht, um herauszufinden, wer sie ist. Am Anfang des Buchs findet das un-
gewöhnliche Paar wieder zusammen.

Jenny Erpenbeck: Kairos (Roman von 2021)

„Kairos, der Gott des glücklichen Augenblicks, habe, so heißt es, vorn über der Stirn eine Locke, einzig an der kann man ihn halten. Ist aber der Gott erst einmal auf seinen geflügelten Füßen vorübergeglitten, präsentiert er einem die kahle Hinterseite des Schädels, blank ist die und nichts daran ist mit Händen zu greifen. War der Augenblick ein glücklicher, in dem sie damals, als neunzehnjähriges Mädchen, Hans traf?“.

Diese Frage stellt sich Katharina aus Ost-Berlin einige Jahre später, als sie zwei Kartons mit Briefen und anderen Erinnerungsstücken ihres verstorbenen Geliebten öffnet. Inzwischen ist nämlich aus ihrer Begeisterung für den über fünfzigjährigen Hans eine zerstörerische Belastung geworden – und parallel dazu hat sich auch noch (1990) die DDR aufgelöst.
Wir werden an unserem literarischen Abend auch der Frage nachgehen, ob die Verbindung persönlicher und politischer Verwicklungen, die Jenny Erpenbeck auf der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen in ‚Kairos‘ rekonstruiert, tatsächlich so geglückt ist, dass ihr zu Recht der renommierte Booker-Preis verliehen wurde.